Interview aus dem Psychonautischen Rundbrief No.1 Aug.1998

"...daß die Bullen halt eher zurückschrecken, in eine tanzende Menge reinzuprügeln..."

Bart Simpson Über die Party am 16. Mai am Alex, das Potential in Berlin, die Polizei- und natürlich auch die Gewaltfrage, vor allem aber über die mögliche Protestform der Zukunft sprachen wir mit (den ordentlich bekifften) Lisa, Bart, Marge und Homer Simpson.


PR: Wie seid Ihr zu Reclaim the Streets gekommen?
Homer: Ich finde Technomusik gut und Politik habe ich eigentlich schon länger gemacht und dann hat sich das daraus ergeben...
Bart: Ich hab mal im Café zwei Öko-Aktivisten aus England getroffen, die extra für RTS, was es dann gar nicht gab, hierhergekommen sind, auf jeden Fall haben sie mir ganz tolle Geschichten erzählt von 10.000 Leuten, die eine Autobahn blockieren und plattmachen und da habe ich mir gedacht, das ist doch ganz geil, das müßte man auch mal ausprobieren, das wär mal was Neues...
Marge: Im Rahmen von dieser Tierrechtsaktionswoche hier wollten die eine RTS machen aber bis eine Woche vorher war nichts vorbereitet und wir waren dann hier mit 60 Leuten und haben eine kleine RTS gemacht und eigentlich ist die ziemlich in die Hose gegangen, aber der Gedanke ist hängengeblieben, eine Party auf der Straße zu machen und das mit politischer Aktion zu verbinden.

PR:Wo liegen die Hauptunterschiede zu früheren politischen Aktionsformen?
Lisa:: Einer der Hauptunterschiede war, daß das alles so friedlich abgelaufen ist und so erfolgreich war, weil halt nicht die Demonstranten da waren, die sonst auf Demos gehen, sondern sich das ziemlich durchmischt hat mit Partyvolk und mit "normalen" Leuten, die halt einfach nur da waren um 'ne Menge Spaß zu haben und das hat man schon an der ganzen Atmosphäre gemerkt, das war eine völlig entspannte und fröhliche Atmosphäre den ganzen Tag.
Marge: Na bei Bart und mir ist es so, und bei Homer wird es ähnlich sein, daß wir Demos, autonome Politik und so mitgemacht haben und relativ abgegessen sind von den ganzen Sachen: Plenum hin, Plenum her, wenn bei der 1. Maivorbereitung die ganzen Profi-Politniks zusammensitzen und diskutieren... und inhaltlich diskutiert haben wir relativ wenig, eigentlich mehr auf die RTS hingearbeitet. (...)
Homer: Darum geht`s ja auch gerade: daß etwas aufgebaut wird, womit die Leute selbst etwas machen können...

PR: Habt Ihr den Eindruck, daß große Teile der Berliner linken Szene zu dogmatisch sind und den Partyaspekt nicht ernst und politisch genug finden?
Marge: Immerhin waren auf der RTS 700-800 Leute und das sind mehr als auf jeder Antifa Demo. Ich hab das Gefühl, daß die Leute sich mehr mit Spaß ausdrücken wollen als Dernos zu machen. (...)

PR: Glaubst Du, daß sie deswegen den politischen Aspekt weniger stark wahrnehmen?
Marge: Das ist halt die Frage ...

PR: Denn die Love Parade war ja auch mal eine politische Demonstration..
Bart: Wenn du so 'ne illegale Party machst wie RTS, dann muß man sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen, einfach weil man eine illegale Sache macht. Und vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, um Leute, die bisher nicht so viel über Politik nachgedacht haben, dazu zu bringen sich damit zu beschäftigten einfach über 'ne Party in der Art, wie sie sie kennen, aber wir eben noch den politischen Anspruch reinbringen und etwas ändern wollen. ( ..) Und ich glaube, daß gerade im Moment in der Technoszene da ein gewisses Potential drin steckt. Ganz ähnlich wie Punkrock verlaufen ist: erst war es eine Untergrundszene, die dann kommerzialisiert worden ist und so langsam bildet sich ne Subkultur daraus, weil der Kommerz wieder den Bach runtergeht; und Punk war politisch geworden, weil sich wahrscheinlich ein paar Leute dachten, wir könnten hier 'nen Anspruch reinbringen, weil die Leute von sich aus schon 'n gewisses anderes Grundfeeling haben und daraus eine politische Bewegung entsteht.

PR: Wie schätzt Ihr das Potential ein: wird sich RTS in Berlin ähnliche Größen annehmen wie in England oder wird es in der bekannten Szene ablaufen?
Marge: Die erste RTS war eigentlich ziemlich erfolgreich, was Berlin zumindest angeht; in Hamburg ist sie anders gelaufen, da gab's Redebeiträge zwischendurch, die Musik ist unterbrochen worden und es wurden irgendwelche politischen Reden gehalten und das kam wohl nicht so gut an. Hier in Berlin ist nur Musik durchgelaufen und die Leute haben z.B. irgendwelche Sachen auf der Straße gemalt (...)
Homer: ...vor allem die politische Äußerung war hier ne andere, da ging es halt um die Straße,die Leute haben Parolen auf die Straße geschrieben von dem üblichen "Bullen raus" bis hin zu "Autos trinken Blut" und die ganzen Sprayer haben ihre Tags auf die Straß gemalt, da hat sich das halt anders gezeigt .. (...)
Lisa:: ... und es wurde auch ziemlich viel Infomaterial vorbereitet, was dann aber doch nicht verteilt wurde, (...) aber wer sich weiter informieren wollte, weil er mitgekriegt hat, daß es illegal ist, konnte das jederzeit....

PR: Wie schätzt Ihr die Reaktion, bzw. die fehlende Reaktion der Polizei ein? Wußten sie nicht, daß was passiert, oder konnten sie einfach nicht damit umgehen?
Bart: Die wußten das schon, aber wir hatten ziemlich Glück, weil gerade Pokalendspiel war und die Superelitebullen gar nicht da waren sondern ziemlich verpeilte Einheiten. Und dann waren da halt im Gegensatz zu sonstigen Demos hundsnormale Leute auf der Straße und das hat sie glaub ich auch abgehalten.. die waren einfach saudoof und haben das nicht mitgekriegt.. ( )
Lisa:: Außerdem hatten die sich auf der Seite von der Weltzeituhr versammelt, wo wir gar nicht hin sind (.. ) und da niemand wußte wo das eigentlich stattfinden sollte sind die Leute einfach mitgelaufen und bis die Bullen das geschnallt haben, waren schon zuviele auf dem Platz, daß die noch was hätten machen können. Und es waren viele Kinder mit dabei und einfach andere Leute, die man nicht so leicht auseinanderziehen kann...
Marge: Das ist ja auch eigentlich das Geile an der RTS, daß sie ein ganz anderes Bild abgibt. Damit haben ja auch die Leute in England wahnsinnig gute Erfahrung gemacht, daß die Bullen halt eher zurückschrecken, in eine tanzende Menge reinzuprügeln und deswegen konnten die ja auch auf der Autobahn zwei Tage feiern und den Asphalt aufreißen ohne, daß die Bullen irgendwas gemacht haben. Und hier in Berlin wollten die Bullen halt an den Lautsprecherwagen ran und dann haben die Leute davor getanzt und dann haben die Bullen gekuckt und sind einfach wieder zurückgegangen. Ich denke, daß die hier in Berlin noch nicht so richtig mit umgehen können und wenn sich das verbreitet, daß die Leute immer wieder Parties auf der Straße machen, werden die damit auch anders umgehen; in England haben sie ja den Criminal Justice Act durchgesetzt und die illegalen Techno-Parties (Gesetz gegen "music with repetitiv beats") direkt verboten. Und darin liegt sicherlich auch das politische in solchen Parties, daß man sich illegal Raum nimmt und da abfeiert oder diskutiert oder sonst irgendwas macht.
Lisa:: Und womit wir noch zusätzlich Glück hatten, war, was die Leute gemacht haben, die waren so gut drauf an diesem Tag, daß die das Soundsystem geschützt haben beim Abgang vom Platz, weil das war ja auch noch ein Problem, wo wir davor eigentlich nicht richtig wußten was wir machen, wenn das Soundsystem weg ist oder der Fahrer erwischt wird. (...) Darüber gab's dann auch Diskussionen, weil sich da die Meinungen getrennt haben. Aber dann hat es so super geklappt und wir konnten einfach vom Platz fahren und die Leute sind mitgelaufen und haben den Wagen begleitet. (...)

PR: Und glaubt Ihr wird das Probleme in Schönbohms Berlin geben, denn man liefert ja nur neues Material für eine neue Polizeistrategie?
Homer: Ich glaube auch in Schönbohmschen Zeiten wird er keine effektive Strategie in kurzer Zeit finden, daß er einerseits auf der Love Parade an der Siegessäule steht mit 'ner Trillerpfeife um den Hals und nem Käppi auf 'm Kopf und sagt "Tanzen ist toll" und er andererseits lauter blutende buntgefärbte Haare neben dem Soundsystem liegen hat...

PR: Also glaubt Ihr schon, daß da eine neue Bewegung draus werden könnte.
Marge: (...) Bewegung kann man glaub ich nicht sagen, mehr eine neue Aktionsform, daß sich die Leute wie bei der Karawane nach Genf jetzt auf den Weg machen und der Weg schon Teil der Demo ist. (...) Ich meine, daß es auch notwendig ist, neue Formen zu finden. In Berlin gibt s 1000 Demos im Jahr, die nimmt keiner mehr so richtig wahr. Und wenn da ein paar Leute auf der Straße tanzen und damit den Verkehr lahmlegen, dann nehmen das die Leuten noch eher wahr. Außerdem kommt das bei den Medien viel positiver rüber, als ein wandelnder schwarzer Block oder so. (...) Die taz hat zum Beispiel ausführlich drüber berichtet, die haben uns zwei ziemlich gute Artikel gegeben. (...) Es ist auf jeden Fall erstmal in der Diskussion.

PR: Wie ist der Kontakt zu den Medien? Muß man sich aus Sicherheitsgründen verstecken oder versuchen, möglichst viel Öffentlichkeit zu erreichen?
Marge: (...) Soviel Kontakt wie möglich. Denn sobald Kameras da sind und tanzende Leute zeigen, kann die Polizei viel weniger machen, der öffentliche Druck wird größer mehr Leute erfahren davon. Die Schwierigkeit ist halt, daß RTS keine Organisatoren hat, sondern immer die Menge der einzelnenen Leute auf der Party sind und das zwar ein großer Vorteil ist, weil jeder im Prinzip sein RTS machen kann, die Presse aber eigentlich immer Ansprechpartner möchte.....

PR: Und wie geht man damit um, wenn man geräumt wird?
Homer: Das muß man auf sich zukommen lassen...
Marge: In der Vorbereitung von RTS war die Gewaltfrage schon ein riesen Diskussionspunkt. Aber ich denke mal mit Diskussionen läßt sich das relativ wenig lösen, weil die Positionen da doch ziemlich unvereinbar sind... (...) das wird dann einfach die Praxis zeigen, wenn es mehr RTS-Parties gibt und wenn die mal von den Bullen geräumt werden, wird man sehen, wie sich die Leute verhalten. Das ist relativ schwer vorherzusagen, wieviele gewaltbereite oder friedliche Leute dann auf der Straße sind.

PR: Ist Euch das wichtig, daß das friedlich läuft und habt Ihr den Eindruck, daß es nur erfolgreich sein kann, wenn es friedlich verläuft?
Marge: Mir ist es nicht unbedingt wichtig ...
Lisa:: Mir schon, weil ich glaube, daß sonst der Sinn von RTS verloren geht mit den Diskussionen, die hinterher über die Gewalt wieder ablaufen und die Medien dann auch wieder anders drüber berichten. Und der Samstag war für mich schon so ein supergeiler Erfolg, weil es halt keinen Ärger gab und alle Leute nur Spaß hatten und hinterher niemand Probleme hatte mit dem Ding sondern nur gute Erinnerungen daran.
Homer: Ich finde, die Gewalt muß halt angemessen sein, ich finde Massenmilitanz bei dieser Sache nicht sinnvoll, weil es das Konzept auch völlig zerstören wird, aber ich finde dogmatische Leute insgesamt und auch dogmatische Pazifisten ziemlich Kacke... (...)

PR: Aus welcher Szene kommt RTS? Hat das was mit Ost und West zu tun?
Marge: Mit Ost und West hat das glaub ich nichts zu tun. Erst mal, weil die illegalen Parties aus England kommen und auch die ersten RTS Parties in Frankfurt/a.M. waren, als mit dem Nachttanz gegen die Sperrstunde angetanzt wurde... ich glaube, daß auf der RTS so ziemlich die gesamte Berliner linke Szene war.
Bart: (...) ...aber so dogmatische nicht... (...)
Homer: Ich sieh da schon so einen Teil, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat an Leuten, die dazwischen sind, natürlich viele Hausbesetzerleute, aber sicher zur Hälfte auch einfach Partyleute, die ein linkes Bewußtsein haben, das schon in die radikale Richtung geht... (...)

PR: Was ist für Euch die politische Hauptmotivation von RTS? Ähnlich wie in England der ökologische Aspekt mit dem Symbol des Autos und dem Lahmlegen des Verkehrs, oder geht es hauptsächlich um besetzte Häuser und Wagenburgen?
Homer: Die Leute, die es gemacht haben, kamen hauptsächlich aus den besetzten Häusern und auch die politische Technoszene kommt großteils aus Mitte und Friedrichshain... (...)
Marge: Für mich ist es hauptsächlich in Zusammenhang mit den Innenstadtaktionen, aber ich weiß nicht, ob man das so trennen kann; aber natürlich auch Antifa (...), es waren eben nicht 800 Glatzen, die da ihre Parolen gebrüllt haben, sondern 800 Leute, die auf der Straße gefeiert haben und das auch noch unangemeldet. Ich weiß nicht, ob man das so einschränken kann auf ein Spezialthema, ob man das überhaupt noch sollte, die linke Szene ist so klein mittlerweile, daß man da nicht seinen Kleinkrieg spielen sollte und das ist wahrscheinlich auch das Potential von RTS, daß da die verschiedensten Leute mit ihren verschiedensten politischen Anliegen im Kopf hinkommen und sich auch austauschen. Es war ja auch nicht so, daß der Platz total beschallt war von der Musik, 100 Leute haben vielleicht getanzt und der Rest stand da und hat gelabert und gemalt und getrommelt, es ist so quasi Begegnungsstätte gewesen und das ist das Gute daran und genau das, was in Gorleben passieren sollte, daß eben Radikalos auch mit friedlichen Leuten was machen und das passiert halt auch langsam, daß die zusammen feiern und lachen und Party machen. Und das Thema ist die Aneignung öffentlichen Raumes und genau das ist auch passiert.

PR: Ein Schlußsatz.
Marge: Die Party geht weiter!


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