Aufruf 27.09.98
WIDERSTAND HAT KEINE WAHL!
- Reclaim The Streets-Party am 27.09.98 in Berlin -
Nachdem die erste Reclaim The Streets (RTS) - Aktion in Berlin, im Rahmen der Global Street Parties
gegen den G8-Gipfel in Birmingham (15.-17.5.), ein voller Erfolg war, soll nun im September eine neue
Straßenparty als Gegenaktion zum Wahlspektakel der HERRschenden stattfinden. Damals hatten unter
dem Motto "Spaß kann auch Widerstand machen" über 700 Menschen für mehrere Stunden die
Kreuzung Memhardstr./Rosa-Luxemburg-Str. besetzt und in ein rauschendes Fest verwandelt.
Weltweit fanden an diesem Termin in über 30 Städten auf dem ganzen Globus Global Street Parties
statt.
Reclaim The Streets ist nicht die Loveparade - Widerstand ist mehr als auf der Straße zu
tanzen!
Sorgte sich Uwe Rada in seinem Kommentar in der TAZ vom 18.5. - gönnerhaft, aber offensichtlich in
völliger Unkenntnis der Materie - aus der "neuen" Protestform könne ebenso wie die Loveparade (!)
"auch jener Kommerz werden (...), gegen den man eigentlich antanzen wollte", ist RTS in Wahrheit weit
davon entfernt den Mechanismen positiver wie auch negativer Vereinnahmung zu unterliegen. Denn die
Streetparty als bewußte illegale Aneignung öffentlichen Raums, funktioniert gerade jenseits dieser
Handlungsebenen herkömmlicher Politikformen und entzieht sich dadurch geradezu allen Versuchen der
Funktionalisierung. Die aus Großbritannien stammende Aktionsform ist vielmehr ein Ausdruck, der dort
- viel stärker als in der BRD - spürbaren Authentizität sozialen Widerstandes. Dies zeigte sich sehr
deutlich an dem 1997 in London stattgefundenen "March for Social Justice", der von Gewerkschaften
und RTS-London aus Protest gegen die Entlassung von 500 Liverpooler Dockers organisiert wurde
und den ganzen Tag über den Trafalgar Square als Partyort besetzte, bis die "Riot Police" den Platz
gegen Abend räumte und Krawalle provozierte. Anfangs vor allem von radikalen ÖkoaktivistInnen und
AutogegnerInnen wahrgenommen und organisiert, wurde RTS ein Forum für immer mehr Menschen:
"Party People", die sich gegen die Vernichtung und Verdrängung der nicht-kommerziellen
Techno-Szene wehren, Menschen, die gegen die Privatisierung und die damit verbundene Vertreibung
von "Randgruppen" aus dem öfentlichen Raum aktiv sind oder AnarchistInnen, die einfach nur Spaß
daran haben, die Gesetze zu brechen. "Reclaim The Streets ist ein Akt der Verteidigung von, und für
öffentlichen Raum. Es bedeutet, den Zaun der Ausgrenzung, den Kapitalinteressen benötigen,
niederzureißen. Und die Straßenparty - weit davon entfernt, nur gegen Autos zu sein - ist eine
Explosion unseres unterdrückten Potentials, eine Zelebration unserer Unterschiedlichkeit und ein Chor
unserer Stimmen in Solidarität. Ein Festival des Widerstands", wie es in einem Flugblatt von
RTS-London heißt.
Fight for your right to party
Die Straßenparty, als politische Aktionsform, ist stark beeinflußt vom Modell der "Temporären
Autonomen Zone" (TAZ), wie es der Publizist Hakim Bey in seinem gleichnamigen Essay skizziert hat:
zeitlich begrenzt angeeignete Freiräume, die selbstbestimmtes Handeln ermöglichen. Orte jenseits des
staatlichen Zugriffs "auf der Straße und in den Köpfen" (Flyer aus Berlin). "Das Wesentliche der Party:
von Angesicht-zu-Angesicht, eine Gruppe von Menschen agiert synergetisch, um die Wünsche der
Einzelnen zu befriedigen, entweder die nach gutem Essen oder Spaß, Tanz,Konversation, Lebenskunst,
vielleich sogar die nach erotischem Vergnügen oder nach Vollendung eines gemeinsamen Kunstwerkes
oder nach Seligkeit, kurz, eine 'Union von Egoisten' (laut Stirner) in ihrer einfachsten Form oder aber,
im Kropotkinschen Sinne, eine grundlegende Triebkraft in Richtung 'gegenseitiger Hilfe' " (Hakim Bey).
Die Party bedient sich aus allen Schubladen und Schränken und kümmert sich nicht um
Eigentumsrechte; sie ist respektlos und lacht den Gleichschritts- und Uniformfetischisten laut ins Gesicht.
Der Akt der gemeinschaftlichen Aneignung und Umfunktionnierung öffentlichen Raums zieht seinen
Erfolg weniger aus dem (bleibenden) Eindruck in der Öffentlichkeit, als aus der Revolutionierung des
Handelns und des Bewußtseins der beteiligten Menschen während der DIREKTEN AKTION. Und
die Straße - eigentlich ein Ort der Begegnung, der Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen
- symbolisiert, wie kaum ein anderer städtischer öffentlicher Raum, die Unterwerfung von Mensch und
Natur durch Kapital- und HERRschaftsinteressen: als reine Versorgungsadern mit Produktions-,
Waren- und Menschenmaterial; der Lüge der individuellen Bewegungsfreiheit und den
aneinandergereihten Schaufenstern der Konsumtempel. Von aggressivem Mackerverhalten hinterm
Steuer und rassistischer und sexistischer Ausgrenzung und Bedrohung im öffentlichen Raum Straße ganz
zu schweigen. RTS nimmt sich die Straße zurück: laut, lachend und selbstbewußt. Aber - RTS ersetzt
keine Antifa-Aktion, keine politische Debatte, keine militante Kleingruppenaktion und auch keine
kämpferische Demo. Keine Alternative, kein neuer Versuch die Massen zu erreichen; will nicht
ersetzen; ist Freiraum für selbsbestimmtes Handeln, der durch alle Beteiligten selbst erschaffen werde
muß, ist Direkte Aktion - nicht mehr und nicht weniger.
Revolutionen sind die Parties der Uneingeladenen
Wenn am 27.9. die HERRschenden ihr StimmVOLK an den Urnen versammeln, werden wir nicht in
ihren miefigen Wahlkabinen sein. Wir werden auf der Straße sein - aber nicht, um den eventuellen Sieg
von Rotkohl Schröder und Konsorten und den angeblich damit verbundenen Wechsel in Politik und
Gesellschaft zu bejubeln. Wir werden ihren Verkehr lahmlegen, weil wir wissen es gibt Gründe genug -
WIDERSTAND HAT KEINE WAHL!
Der von allen Parteien betriebene rassistische Diskurs um die "innere Sicherheit", die Re-formierung der
deutschen VOLKSGEMEINSCHAFT, der immer aggressiver werdende Abbau ehemals
sozialstaatlicher Absicherungen, die Tatsache, daß Millionen von Flüchtlingen und MigrantInnen
tatsächlich von dem Spektakel demokratischer Wahlen ausgeschlossen sind - ebenso, wie sogenannte
Minderjährige - und, und, und. Und natürlich ändern Wahlen nichts, sonst wären sie verboten. Also
bringt eure Wahlbescheinigungen mit und wir verbrennen sie gemeinsam und tanzen einen wilden Tanz
um das Feuer. Vor den Augen ihrer Sicherheitskräfte erschüttern wir ihre innere Sicherheit und lachen
ihnen unsere Mißachtung ins Gesicht. Sie haben keine Bedeutung.
"Geben wir zu, daß wir auf Parties gewesen sind, auf denen für eine kurze Nacht lang eine Republik aus
erfüllten Begierden errungen wurde. Sollen wir nicht beichten, daß die Politik dieser Nacht für uns mehr
Realität und Kraft besitzt, als die - sagen wir mal - der gesamten Regierung?"
(Hakim Bey)
Treffpunkt: 14Uhr, Tacheles (Oranienburger Str. 53-56)
Look out for flyers!
Benno Ventura
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