Die taz schrieb am 16.05.2000:

tanz den muttertag

Mehr als 500 überwiegend junge Menschen versammelten sich am späten Sonntagabend am Mariannenplatz in Kreuzberg. Anlass der nicht angemeldeten Veranstaltung, die unter dem Motto "Reclaim the night - Karneval der Geschlechter" stand, war der Muttertag. Mit öffentlichem Tanzen, Trommeln und Feuerspucken wollten die AnhängerInnen der linken Szene gegen die traditionellen Geschlechterrollen demonstrieren.
Bei der Veranstaltung war allerdings von diesem Anspruch der Organisatorinnen wenig zu spüren: Kaum einer der TeilnehmerInnen hatte sich - wie auf Flugblättern angekündigt - verkleidet, Transparente oder Lautsprecherdurchsagen fehlten ganz. Stattdessen trommelten ein paar Buntbemalte auf ihre Bongos; eine uralte und soundschwache Musikanlage beschallte den Platz mit Siebzigerjahre-Blues. Als sich die DemonstrantInnen Richtung Oranienstraße bewegen wollten, kam es zu Rangeleien mit der Polizei, die die Straße abgesperrt hatte. Die Sicherheitskräfte forderten die DemonstrantInnen wiederholt auf, "im Rahmen der Kooperation" den Mariannenplatz als Veranstaltungsort zu akzeptieren. Allerdings sei es zu dem "üblichen Spiel" gekommen, sagte ein Polizeisprecher gestern. Einige Versammlungsteilnehmer hätten mit Flaschen auf die Beamten geworfen, die Polizei habe die Mariannenstraße geräumt. Drei Personen seien festgenommen worden. Ihnen wird "schwerer Landfriedensbruch" vorgeworfen.

taz Berlin lokal Nr. 6143 vom 16.5.2000 Seite 22 Berlin 32 Zeilen


Die taz schrieb am 13.05.2000:

"Reclaim the gender"-Night

Am morgigen Muttertag wollen mehrere hundert Menschen auf Kreuzberger Straßen unangemeldet gegen die klassische Geschlechtertrennung antanzen

Wer durch die Kreuzberger Oranienstraße läuft, kann schon mal ins Grübeln kommen. Wo sonst maoistische Transpartente quer über die Straße gespannt werden, fordert seit Tagen eines: Reclaim the night! Erobert die Nacht zurück, könnte das frei übersetzt heißen. Auf Plakaten, die an den Häsuerwänden kleben, ist der Termin angekündigt: Morgen Abend, 20 Uhr am Mariannenplatz in Kreuzberg.

Die unbekannten ErobererInnen der Nacht wollen dann einen "Karneval der Geschlechter" aufführen - eine "direkte Aktion mit Musik, Tanz und Verkleiden gegen den Muttertag und andere Geschlechterklischees". So heißt es auf Flugblättern, die seit Wochen in der linken Szene kursieren. "Backt Euch Eure Scheißkuchen selber!", fordern die Autorinnen die Männer auf, die am Muttertag ihren Frauen Blumen schenken. Auch im Zeitalter der Post-Emanzipation, der Babypause für Väter und der "weiblichen Karrierehengste" sei das Reich der Frau das Private.

Dagegen wollen die EroberInnen der Nacht demonstrieren - auf der Straße. In der Szene wird mit mehreren hundert TeilnehmerInnen gerechnet. Erstmals richtet sich eine solche Aktion, die ausschließlich von Frauen organisiert wurde, nicht nur an Frauen und Mädchen - auch Männer dürfen mitmachen. Jedenfalls, wenn sie "die klassischen Männer- und Frauenbilder zerreißen, verbrennen und auf deren Asche wild tanzen wollen".

Wild ist allerdings auch der Rundumschlag, mit dem die Organisatorinnen auf einer Internet-Seite begründen, warum sie die zunächst für den Vatertag geplante Aktion auf den Muttertag verlegt haben. Denn am Vatertag müsse gegen die Expo in Hannover demonstriert werden, die eine "durch und durch sexistische, technokratische und rassistische Veranstaltung" sei. Ursache für "weltweites Elend und Naturvernichtung" sei ein "entfesselter Männlichkeitswahn", dessen Kosten weltweit vor allem von Frauen getragen würden, meinen die Technik-Skeptikerinnen auf der Internet-Seite.

Völlig unklar ist, was bei der morgigen Aktion in Kreuzberg geschieht. "Reclaim the night ist, was DU daraus machst", heißt es viel sagend auf der Internet-Seite. Die TeilnehmerInnen werden auf der wild flackernden Seite nicht nur zum Feuerspucken, Jonglieren, Tanzen und Musikmachen aufgefordert - sie könnten auch mit Sprühflaschen hantieren, "sexistische Werbung am Wegesrand verändern", so einige Ideen der Organisatorinnen.

Bis gestern lag bei der Polizei noch keine Anmeldung für eine Kundgebung oder Demonstration vor. Eine Anmeldung muss bis 48 Stunden vor einer geplanten politischen Demonstration eingehen. Man könne deswegen auch keine Angaben über Teilnehmerzahlen oder Route machen, sagte ein Polizeisprecher. Die Ordnungshüter würden aber vor Ort präsent sein. "Wir sind in der Lage, angemessene Maßnahmen zu ergreifen."

Die Veranstalterinnen orientieren sich offenbar am Konzept der "Reclaim the streets"-Partys". Im September vergangenen Jahres tanzten rund tausend TeilnehmerInnen durch die Friedrichstraße. Mit dieser unangemeldeten Demonstration wollten sie gegen das in der Nähe stattfindene Kanzlerfest demonstrieren. Am Rande war es zu Rangeleien mit der Polizei und zu Festnahmen gekommen. Nach einer "Reclaim the streets"-Aktion am 30. April 1999 in Prenzlauer Berg hatte die Polizei mehr als 300 TeilnehmerInnen mehrere Stunden lang eingekesselt.

RICHARD ROTHER

taz Berlin lokal Nr. 6141 vom 13.5.2000 Seite 29 Berlin 114 Zeilen


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